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Die Chronik von Einsiedl des Rittmeisters Peter Christl

3. 5. 2011

Die Chronik von Einsiedl

des Rittmeisters Peter Christl

Von Alois John (Eger).

Wiederholt ist in „Unser Egerland" auf die Bedeutung der Chroniken für die Volkskunde auf­merksam gemacht worden*), denn sie bergen eine Fülle volkskundlichen Stoffes, Aufzeichnungen über Sitten und Bräuche, Aberglauben, Lieder, einheimische Geschlechter, Geschichtliches über die Schule, Kirche, über Land und Leute u. s. w. Wohl geht alles ein bischen bunt durcheinander, aber das schadet weiter nicht; wer die Kraft des Beharrens bat und sich die Durchsicht nicht verdrießen läßt, wird zu reichen Ergebnissen gelangen. Zu der bunten Stoffülle, der altertümlichen Schreib- und Ausdrucksweise einer solchen Chronik kommen mitunter auch Partien grim­migen Humors, in denen der Annalist oder Chronist seinen rein persönlichen Anschauungen über die Dinge und Zeitereignisse freien Lauf läßt, oft ist auch die Lebensgeschichte des Chronisten mit eingeschaltet oder er ergeht sich in phantastischen Deutungen, aber auch diese unkritischen stellen werden interessant, da sie einen Maßstab für die geistige Höhe des Verfassers und der Zeit geben und zu vergleichenden Betrach­tungen mit der Gegenwart anregen. Auf jeden Fall ist eine solche geschriebene Chronik, wo immer man sie findet, ein wichtiges Dokument für die Volks­kunde und Geschichte des betreffenden Ortes und sollte beizeiten  dafür gesorgt werden, daß sie nicht verloren geht und eine sichere statte der Aufbewahrung findet.

Vor kurzem hat mich Herr k. k. Uebungs-schullehrer Rudolf Dietl in Eger auf die handschrift­liche Chronik seines Verwandten, des Rittmeisters Peter Christl, über den Ort Einsiedl aufmerksam gemacht und mir den dickleibigen Band zur Durch­sicht freundlichst überlassen, wofür ihm an dieser Stelle bestens gedankt sei.

Einsiedl ist ein kleines Städtchen im Kaiserwald, von Manenbad über Royau, von Bad Königswart über Sangerberg zu Fuß in etwa drei Stunden zu erreichen, neuerdings aber durch die Bahnstrecke Marienbad-Tepl-Karlsbad, allerdings etwas spät, dem Weltverkehr erschlossen. Alle diese Dörfer, Bäder und Städtchen dieses herrlichen Kaiserwaldes, dessen Natur, Geschichte und Besiedlung bald eine Monographie verdiente, sind durch diesen späten Anschluß an die Bahn etwas zurückgeblieben, aber keineswegs, besonders für die Volksforscher, un­interessanter geworden. Bergbau, Quellen- und Bädererschließungen und verschiedenartige Hausindustrie haben auf dieser waldgerodeten mächtigen Berg­scholle, deren bewaldeter Gipfel so schön in das Egerland hinabschaut und den südöstlichen Abschluß der Randgebirge bildet, zu verschiedenen Zeiten wechselnde Kulturbilder erzeugt, das nahe Kloster Tepl oft seinen Einfluß auf die Gestaltung der Ver­hältnisse geltend gemacht. Eine eigentliche Mono­graphie über das Kaiserwaldgebiet und seine Besied­lung aber fehlt bis heute und wäre gewiß eine ver­dienstliche Aufgabe**). Schon aus diesem Grunde ist also die Chronik von Einsiedl von Bedeutung. Sie gewinnt aber noch mehr durch die Person des Chronisten.

Ein merkwürdiger Mann, dieser Rittmeister Peter Christl! Merkwürdig durch die schroffen Gegen­sätze, die in seinem Leben wechseln! Ursprüng­lich für den geistlichen Beruf bestimmt, bezog der am 6. Jänner 1762 in Einsiedl geborene Peter im 9 ten Jahre das Stiftslyzeum im Kloster Tepl, brachte dann ein Jahr (1776) bei den Plansten in Schlan, ein Jahr (1777) in Eger zu und ging dann zur Vollendung seiner geistlichen Studien nach Prag (1778). Da ereilte ihn die Nachricht vom Tode seiner Eltern. Seine Mutter Gertrud, eine geborene Reitenberger aus Neumarkt, war 1775, sein Vater Christof, Bürgermeister in Einsiedl, war 1777 ge­storben; nun stand er allein in der Welt und nun zwang ihn auch nichts mehr, dem geistlichen Stande treuzubleiben. Er trieb eine Weile militärische Studien, für die er größere Neigung hatte, und als er einmal in der Zeitung las von der reichen Beute, die Matrosen im amerikanischen Kriege machten, beschloß er in echtem Abenteurersinn ebenfalls sein Glück in der Welt, im Kriege, in Amerika zu suchen. Rasch entschlossen verkaufte er alle seine Sachen, seinen väterlichen Besitz in Einsiedl und trat im 18. Lebens­jahre mit 500 fl. seine Reise nach England und Amerika an. Aber er kam nicht weit. Schon in Schwaben wurde er von österreichischen Werbern angehalten, trat darauf in österreichische Kriegsdienste und 1783 in das Kaiser Franz-Karabiniers-Regiment (gegenwärtig Kürassier-Regiment Nr. 1) als gemeiner Soldat ein, kam aber rasch vorwärts, wurde Korporal, Wachtmeister, dann nach zwei Jahren Unterleutnant, ein Jahr drauf Oberleutnant. 1792 kam der Krieg, der französische Revolutionskrieg! Am 1. Mai marschierte das Karabiniers-Regiment an den Rhein, ins Elsaß. Zahlreiche Gefechte und einige glänzende Attacken, in denen Christl sich mit Bravour hervor­tat (so im Gefecht bei Fröschweiler in Elsaß, die Attacken bei den Weißenburger Linien, bei Buchs-weiler und Froschweiller, Bataille nächst Würzburg in den Jahren 1793-96) und die durch auszeich­nende Attestate des Generalmajors Hotze bestätigt wurden. Im Jahre 1801 avancierte er zum Second-Rittmeister. Am 1. Juni 1802 trat er in den Ruhe­stand, kehrte nach Einsiedl zurück, blieb bis 1805 in Prag, um dann vom 1. Juli 1805 dauernd in Einsiedl, seiner Vaterstadt, sich niederzulassen.

Da sah nun der kühne Abenteurer, der grimmige Haudegen, der tapfere Attackenreiter gegen feindliche Kavallerie, nun kannte er die Welt und das Leben, ihre Reize und Gefahren, ihre Wonnen und Abenteuer, er hatte ein bedeutendes stück Weltgeschichte mit­erlebt! Um ihn her träumte die Welt, still und weltfern lag sein Einsiedl da, das Leben zog enge und engste Kreise um ihn. Daheim in der beschau­lichen Stille und Ruhe dieser Tage oder auf der Jagd mit seinem getreuen Hunde Tax über die Fluren streifend, mochte er wohl oft seiner tapferen Kriegs-jahre gedenken. Und wir verstehen es, wenn er in dieser Mußezeit Zur Feder griff, wenn es ihn inner­lich drängte, das Stück Geschichte, das er miterlebte, und die Geschicke seiner Heimatstadt, an der er mit innigster Liebe hing, aufzuzeichnen.

So wurde Rittmeister a. D. Peter Christl zum Chronisten von Einsiedl. Seine eigenhändig von ihm in schöner, deutlicher Handschrift ge­schriebene Chronik, ein dickleibiger Band von weit über 1000 Seiten, ist ein schönes, ehrenwertes Denkmal seines Lebens, feines Fleißes und seiner Heimatsliebe und wahrscheinlich in der Zeit von 1805-1814 und aus guten Quellenstudien entstanden. Wenigstens erklärt der Verfasser, daß er mehr als 40 Folianten aus der Stift Tepler Konventsbibliothek und sonstige Schriften (Gedächtnis-bücher der Einsiedler Stadtpfarrei) mit Bezug auf Einsiedler Urkunden durchgesehen habe. Im Kloster Tepl war im Jahre 1812 Carl Reitenberger aus Neumarkt zum Abt gewählt worden, der bekanntlich auch von Goethe in den Jahren 1821 und 1822 aufgesucht wurde und als der eigentliche Gründer von Marienbad anzusehen ist, aber, von Undank getroffen, seinen Lebensabend einsam im Kloster Wilten bei Innsbruck beschloß (1827). Diesem be­rühmten Abte, der mit ihm aufs engste verwandt war (die Mutter Peter Christls, Gertrud, war eine Reitenberger aus Neumarkt) widmet er seine Chronik (datiert vom 5. April 1814) und wird diese Wid­mung auch durch ein sehr anerkennendes Schreiben des Abtes vom 23. April 1814 angenommen, aus dem wir nur einen Satz hervorheben wollen: Schätz« barster Herr Netter! „Sie haben darinnen die Liebe zu Ihrer Vaterstadt auf das vollkommenste gezeiget".   Ihr ergebenster Vetter Carl, Abt.   Widmung und Vorrede und viele Stellen im Texte be­stätigen diesen Satz. Er freut sich seiner Heimat, er will seine Mitbürget, insbesondere die Jugend, von der Warte feiner eigenen Kriegserlebnisse und Erfahrungen aus auf die Geschichte und Erforschung seiner Vaterstadt hinlenken, damit sie um so fester und treuer an ihr festhalten.

Der Inhalt der Chronik sei im nachstehenden in Kürze verzeichnet. Die  Einleitung ist betitelt: „Der europäischen Staaten Ereignisse während meiner 53jährigen Lebenszeit" (Seite 15 bis 205). Er stellt darin die wichtigsten politischen und staat­lichen Ereignisse während seines Lebens dar von c. 1760  bis  zum   Pariser   Frieden   1815.   Dann folgen von Seite 205-297 die Ereignisse von 1815 bis 1831. In der letzteren Partie geht es schon etwas bunt durcheinander - Wetterberichte, Ernteberichte, Kornpreise, Beobachtungen von Sonnen« stecken (vom Astronomen David), Erscheinen eines Kometen (1819), Erdbeben (1821, 13. Juli), Besuche hoher Persönlichkeiten, die in Karlsbad zur Kur weilten (der König von Preußen 1816, 1820) u. s. w. Am Schlüsse jedes Jahres wird eine Art Resume gegeben. Mit dem Jahre 1831 brechen diese anna­listischen Berichte ab. Nun folgt von Seite 299 ein Abschnitt über Hroznata, den Stifter des Klosters Tepl, dessen Testament, ein Verzeichnis der Aebte und (von Seite 321 an) etwa zwölf Tepler Privilegien in Abschrift. Die eigentliche Geschichte von Ein­siedl beginnt mit Seite 387. Die ältesten ge­schichtlichen Nachrichten werden erwähnt, dann wird die Kirche und der Pfarrhof beschrieben (Seite 405 bis 477), die Meßstiftungen, die Reihe der Geist­lichen aufgezählt. Von den Glocken stammt eine von Christof di Valle fudit Egrae Anno 1812. Von Kapellen wird die sagenhafte St. Siardskapelle er­wähnt, mit einem wundertätigen Bild des hl. Siard und einem heilkräftigen Brunnen in der Nähe. Es folgt die Geschichte der Schule (Seite 479-510), das Verzeichnis der Lehrer und ihrer Gebühren in alter Zeit. Volkskundlich interessant ist in diesem Kapitel die Erwähnung zweier Feste: Das Cäcilien­fest am 22. November, das ehedem drei Tage durch Musik und Tanz gefeiert wurde, und das St. Gregori­fest am 12. März, an dem nach alter Gewohnheit „alle Knaben mit Degen, Fähnlein oder Hirtenstäben mit Trommelwirbel unter Leitung der Lehrer von Haus zu Haus gingen und durch einen Gesang die besten Wünsche darboten". 3m Jahre 1875 wurde dieses alte Schulfest aufgehoben. Den Schluß der Darstellung bildet die ausführliche Schilderung der städtischen Gemeinde: Rathaus, Halsgericht (Pranger, der Korb und das drehbare Vogelhaus), der Magistrat, die Reihe der Bürgermeister, Bürger­recht, Zunftwesen mit noch erhaltenen Zunftkannen der Fleischer (1663), Zimmerleute (1680), Gerber (1707), Bäcker (1707), Schneider (1667), Verzeichnis der Einwohner Einsiedls, Familiennamen (Seite 729), Brauwesen, Gemeindeeinkünfte, Nahrungszweige, Jahrmärkte, Mühlen, Armenhaus, Elementarereignisse (Läuten der Alarmglocke am Rathaus), der Nacht­wächter u. a. Als Anhang folgen noch hervorragende Einsiedler, Stift Tepler Ereignisse, Mancherlei von Ersin­dungen,UeberHexereien, Gespenster und Wahrsager und schließlich die eingangs erwähnte Lebensgeschichte des Verfassers (S. 937-1007) und ein Index (S.1007).

Diese geschichtliche Darstellung Einsiedls ist sicher die wertvollste Partie der Chronik. Man merkt, daß sie auf Grund eingehender Vor- und Quellen­studien unternommen wurde und auf gutem urkund­lichen Material aufgebaut ist. Auf jeden Fall ist sie eine nicht zu umgehende erste Vorarbeit für einen neuen Bearbeiter und Herausgeber einer Stadt­geschichte Einsiedls, deren Erscheinen gewiß wünschens­ wert wäre, damit auch die Literaturgeschichte des Kaiserwaldgebietes etwas gemehrt wird.

Bis zum Jahre 1831 finden wir in dieser Chronik die schöne, nur in der letzten Zeit etwas zittrige Handschrift des wackeren Rittmeisters Peter Christl. Dann scheint er müde geworden zu sein und das Schreiben aufgegeben zu haben und zahlreiche andere Handschriften erweitern einzelne Partien seines Werkes oder setzen sie bis in die Gegenwart fort. Am 2. Juni 1835 ist er gestorben und ruht nun friedlich in der heimatlichen Erde. Ein Original in seiner Art, ein Held des Schwertes und der Feder. Beide Be­tätigungen sichern ihm ein ehrendes Andenken.

*) Die Chronik der Stadt Hof von Enoch Widmann (Xlll. Jahrgang, Seite 105). — Chronik des Dorfes Ober­lohma von P. Hornik (XV. Jahrgang, Seite 25). — Chronik des Dorfes Olleschau bei Duppau (XV. Jahrgang, Seile 17). — Chronik von Eger des Scharfrichters Huß u. a.
**) Geologisch hat der Kaiserwald manchen Forscher gereizt (vgl. Laube, Geologische Exkursionen, Leipzig 1884: Dr. Ferd. Löwl, Die Granitkerne des Kaiserwaldes). Außer einigen Stadtgeschichten und Nachrichten in einzelnen Heimatkunden ist aber nichts Nennenswertes erschienen. Die Geschichte der Kolonisation des Kaiserwaldes hat jüngst eine treffliche Darstellung durch Professor Fr. Albrecht erhalten in der Ab­handlung: Zur Besiedlung Westböhmens (Pilsner Gymnasial­ Programm 1910 und 1911l).

 

Unser Egerland XVII (1913), Heft 7/8, Seiten 86 - 89.

 

 

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